Der unsichtbare Rucksack – Teil 1
Die Stille im Garten der Worte
Stell dir vor, du trägst seit Jahren einen unsichtbaren Rucksack.
Er hängt schwer auf deinen Schultern, schneidet dir ins Fleisch, und jedes Mal, wenn du glaubst, er sei leichter geworden, fällt ein neuer Stein hinein. Manche sind kaum spürbar, wie Sand. Andere so groß, dass sie dich fast zu Boden drücken.
Und irgendwann gewöhnst du dich daran. Du denkst: Das ist mein Leben. Das ist normal.
Bis plötzlich ein Moment kommt. Kein Feuerwerk, kein Spektakel. Nur ein Satz, kaum hörbar: „Leg ihn ab.“
Und du begreifst: Ich kann.
Von außen sieht niemand die Veränderung. Aber in mir drinnen reißt etwas auf. Mein Atem geht tiefer. Mein Blick reicht weiter. Zum ersten Mal seit langem spüre ich: Da ist wieder ein Stück von mir.
Acht Monate Funkstille
Acht Monate.
So lange war es still hier. Kein Blog. Kein Podcast. Keine neuen Zeilen, keine neue Stimme.
Es war, als hätte jemand mein kleines Universum eingefroren.
Die Seiten: Staub wie Reif.
Die Gedanken: wie Samen, die zwar Leben in sich tragen, aber nicht austreiben dürfen.
Die Stimmen: verstummt, selbst dort, wo sonst das Mikrofon lief.
Und ich? Ich stand mittendrin.
Manchmal nachts am Schreibtisch, starrte auf den blinkenden Cursor – und nichts kam.
Manchmal draußen beim Gassi, im Kopf ein ganzes Feuerwerk an Ideen – und trotzdem blieb es still. Keine Worte, keine Folge, kein Aufbruch.
Kennst du das?
Wenn in dir alles laut ist wie eine Fabrikhalle, aber nach außen nichts dringt?
Wenn deine Gedanken rasen wie Züge, aber jeder Versuch, sie festzuhalten, endet wie ein Tropfen, der im Sand versickert?
Genau das war meine Realität.
Schuldgefühle im Frost
Diese Stille hatte Gewicht.
Und ich machte mir Vorwürfe.
„Du enttäuschst die, die auf deinen nächsten Beitrag warten.“
„Du verlierst alles, was du dir aufgebaut hast.“
„Du bleibst stehen, während alle anderen weitergehen.“
Besonders schwer lag die Feuerwehr auf meinen Schultern. Mein Ehrenamt. Mein Herzblut.
Und trotzdem … ich hab’s schleifen lassen.
Es gab Abende, da lag ich auf dem Sofa, völlig erschöpft, und dann hörte ich die Sirene draußen.
Wusste: Die Kameraden fahren raus, gleich um die Ecke.
Und ich? Ich blieb sitzen. Zu kaputt, um mitzugehen.
Jedes Mal hat es wehgetan.
Jedes Mal hab ich mir gedacht: Alter, was machst du da?
Bin ich überhaupt noch der Richtige?
Am Ende hab ich die Reißleine gezogen. Beurlaubung. Bis Februar 2026.
Das war kein leichter Schritt. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Teil von mir selbst auf Pause gestellt. Aber es ging nicht mehr.
Und dann war da der Führerschein.
Mit über 40 wollte ich ihn endlich machen.
Nicht, um irgendwem etwas zu beweisen. Nur für mich. Für ein Stück Freiheit.
Aber auch dieser Traum … eingefroren. Eingeschneit unter den Monaten.
Wieder ein Stein im Rucksack.
Alles in mir schrie nach Bewegung.
Und trotzdem blieb ich stehen.
Wenn Stille zum Schutz wird
Heute sehe ich es anders.
Funkstille ist nicht automatisch Versagen.
Sie ist kein Ende.
Manchmal ist sie ein Schutz.
Manchmal ist sie ein Winter.
Karg. Still. Schwer. Ja.
Aber tief darunter bewegt sich etwas.
Vielleicht war mein Blog kein Friedhof, sondern ein Feld im Frost.
Vielleicht musste auch der Podcast schweigen, damit meine Stimme überhaupt wiederfinden konnte, was sie wirklich sagen wollte.
Ich musste diese Stille aushalten, um zu spüren, wie sehr mir Worte fehlen.
Ich musste stehenbleiben, um die Last meines Rucksacks überhaupt wahrzunehmen.
Und ich musste aushalten, um zu merken: Ich will nicht aufhören.
Funkstille war kein Aufgeben.
Sie war Überwintern.
Szenen der Leere
Es gab Abende, da saß ich am Rechner, starrte auf ein leeres Dokument und fühlte, wie Minuten zu Stunden wurden.
Es gab Tage, da ging ich mit Emilio raus, stapfte durch Nebel und Wind, im Kopf ganze Geschichten – aber bis wir zurück waren, hatte sich alles wieder verflüchtigt.
Es gab Wochen, da lebte ich nur im Funktionieren: Arbeiten, essen, schlafen. Wiederholen.
Und dazwischen immer wieder dieser Gedanke: Du hättest schreiben können. Du hättest aufnehmen können.
Aber ich konnte nicht.
Nicht, weil mir nichts eingefallen wäre – im Gegenteil.
Weil alles gleichzeitig kam. Weil es zu laut war, um klar zu sein.
Funkstille klingt nach Leere.
In Wahrheit war es Überfülle, die keinen Ausgang fand.
Die ersten Risse im Eis
Manchmal beginnt Veränderung leise.
Nicht mit einem Paukenschlag, sondern mit einem kleinen Riss im Eis.
Ich merkte es daran, dass mein Schlaf tiefer wurde.
Dass ich morgens nicht mehr nur aufstand, um den Tag zu überleben, sondern weil ich wieder etwas vor mir sah.
Dass ich nicht mehr jede Idee sofort vergaß, sondern manche wie kleine Funken im Kopf nachglühten.
Noch nicht genug, um Feuer zu machen.
Aber genug, um Hoffnung zu spüren.
Der erste Atemzug
Heute fühlt es sich an wie ein Morgen nach einem langen Frost.
Noch blüht nicht alles. Noch ist die Erde kalt. Aber zwischen dem grauen Boden sprießen Keimlinge.
Zart. Unsicher. Aber unaufhaltsam.
Ich schlafe besser. Ich atme tiefer.
Und ich habe Menschen an meiner Seite, die mich nicht über meine Last definieren, sondern über das, was ich daraus mache.
Sie rechnen nicht auf, was war. Sie sehen, was ist.
Und ich beginne wieder zu schreiben.
Nicht, weil ich muss. Sondern weil ich will.
Und ich beginne wieder zu sprechen.
Nicht, weil Schweigen einfacher wäre. Sondern weil Geschichten gehört werden wollen.
Dein Winter – meine Frage
Vielleicht stehst du selbst gerade in so einem Winter.
Vielleicht siehst du nur Frost und Dunkelheit.
Vielleicht denkst du: Das war’s. Ich habe verloren.
Aber glaub mir: Funkstille bedeutet nicht, dass alles vorbei ist.
Manchmal ist sie die Erde, die Kraft sammelt.
Manchmal ist sie der Atem vor dem ersten Schrei.
Manchmal ist sie genau das, was es braucht, um Neues wachsen zu lassen.
Hast du schon einmal so einen Winter erlebt?
Und wenn ja: Was hat dir geholfen, den ersten Atemzug im Frühling zu spüren?
Ausblick
Im nächsten Teil erzähle ich dir von den Monaten, in denen ich kurz davor war, alles hinzuschmeißen.
Vom Staub im Betonwerk.
Von Konflikten, die plötzlich zu Brücken wurden.
Von Wendungen, die niemand erwartet hätte.
Und davon, wie man mitten im Chaos manchmal die ersten Spuren von Gold findet.




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